Objekt des Monats April 2019
Das Objekt des Monats ist diesmal kein Neuzugang. Es stammt aus dem Kellerarchiv der Sammlung. Die niedrige Inventarnummer weist darauf hin, dass es aus dem Sammlungsfundus stammt, den der Gründer der Erlanger Informatik, Prof. Wolfgang Händler, zusammengetragen hat.
Prof. Händler war im 2. Weltkrieg Funker auf einem deutschen U-Boot. So ist es naheliegend, dass er Zugang zum Erwerb dieser analogen Rechentechnik hatte:
einem analogen Streuwinkelrechner von ca. 1935. Er entstammt aus der Feuerleitanlage eines deutschen U-Boots des Typs VII, wie es am Marineehrenmahl in Laböe bei Kiel ausgestellt ist.
Die Dokumentation zu diesem Exponat beschränkt sich auf das beiliegende Funktionsbild.
Auch die Internetrecherche gestaltet sich schwierig, jedoch brachte ein Artikel von Thomas Müller aus Hamburg, der im Buch „Vom Abakus
zum Computer“ (G. Wolfschmidt) veröffentlicht wurde, nähere Erkenntnisse zur Funktion. Als Laien der marinen Seefahrt und der dort angewandten Analogrechentechnik sind wir über jeden Hinweis und jede Korrektur dankbar.
Dimensionen: Gewicht: 2,5 kg L/B/H: 16 cm/17 cm/17 cm
Was ist ein Streuwinkelrechner?
Er ist ein Teil des Vorhalterechners einer Torpedoabschussanlage auf einem U-Boot. Dieser Torpedo-Vorhalterechner befand sich im Turm des U-Bootes. Es war ein mechanisches, analoges Rechenwerk, das verbunden mit Kreiselkompass, Seerohr
und Überwasserzielapparat, den Vorhaltewinkel für den Torpedoabschuss berechnete.
Eingabegrößen waren hierbei: eigener Kurs, eigene Geschwindigkeit, geschätzte Zielentfernung, geschätzter Lagewinkel des Ziels, geschätzte Geschwindigkeit des Ziels.
Der errechnete Torpedoabschusswinkel wurde direkt über den Torpedoschussempfänger an die Torpedos weitergegeben. Nach einer Lauflänge von 9,5 m drehte der Torpedo nach dem Abschuss in die errechnete Laufrichtung ein.
Wie arbeitet ein Streuwinkelrechner?
Vereinfachte rechnerische Basis war der Sinussatz aus dem Torpedoschussdreieck nach Roessler, das die oben genannten Einflussgrößen berücksichtigte und daraus den Abschusswinkel berechnete. Das konnte mit Rechenschieber und scheiben geschehen. Jedoch hatte sich schon im 1.WK gezeigt, dass das diese mechanooptischen Rechenhilfsmittel zu ungenau waren und zu wenig Treffsicherheit führten. So wurde zwischen den Weltkriegen von der SAM (Siemens Apparate und Maschinenbau) der elektromechanische Vorhalterechner Typ TvhRe/S3 entwickelt, der es ermöglichte innerhalb von kurzer Zeit mehrere Ziele eines Geleitzuges zu torpedieren. Die Berechnung fand kontinuierlich statt und löste seine Gleichungen mithilfe geschlossener Regelkreise bei denen Seerohr und Kompass die Eingangsgrößen lieferten. Diese Gleichungen wurden mechanisch nachgebildet und die Werte miteinander verglichen. Ein Motor mit Nachregelung brachte beide Seiten der Gleichung in Übereinstimmung. Die Nachregelung der gesuchten Variablen war auch per Hand möglich, um die Berechnung mit Erfahrungswerten zu unterstützen, bzw. bei defekten eine manuelle Eingabe zu ermöglichen.
Soweit ersichtlich (aber bitte korrigieren Sie mich) wurde ein Zielschuss nicht mit nur einem Torpedo, sondern vier oder mehreren nach dem Prinzip „Schrottschus“ durchgeführt, um einen oder mehrere sichere Treffer zu landen. Der Streuwinkelrechner, dessen Skala nur maximal bis 20 Grad reicht, berechnet die Streuung, in welchem Winkel, abgeleitet vom errechneten Zielwinkel, die weiteren Torpedos abgefeuert werden müssen.
Erwähnenswert:
Thomas Müller beschreibt in seinem Artikel, dass die Bedeutung und militärische Relevanz des Torpedovorhalterechners unterschiedlich bewertet wurde. Einerseits war die Bezeichnung des Rechners als „Wunderwaffe“ und „Stolz der uWaffe“ von Walter Günther Buchheim in „Das Boot“ , stark überschätzt. Andererseits war diese Rechentechnik Grundvorraussetzung für eine effektive Seekriegsführung der deutschen Marine im 2.WK. Jedoch wurde der Ausgang des U-Boot Krieges weniger von den Waffensystemen und deren Rechenanlagen als vielmehr von der Funkaufklärung und Führung bestimmt. Wie in vielen anderen Bereichen wurde die im Krieg entwickelte Militärtechnik später zivil genutzt und weiterentwickelt. So auch analoge Rechner und Integrieranlagen. Schoppe und Fäser aus Minden war eine Firma, die ab 1948 große Integrieranlagen baute. Von den drei gebauten Anlagen wurde die Erste als Reparation nach England geliefert, die Zweite ging nach Bonn und die Dritte an die SiemensSchuckert Werke nach Erlangen. Von dieser Anlage sind noch einige Teile in der Sammlung vorhanden und eingelagert. (Inventar: I1349)
Desweiteren ist ein Geschützvorhalterechner im 2. Stock des Informatikgebäudes ausgestellt.
Filmclips: https://www.youtube.com/watch?v=pw5IN5KR4sA
Wer diese Maschine live erleben, oder sie sogar selbst testen will, kann an einem Donnerstag zur ZuseVorführung vorbeischauen oder unter Tel. 09131/8527027 einen Termin vereinbaren. Ausgestellt im RRZE, Martensstraße 1, 1.Stock, Im „ZUSERaum“, 1.009