Objekt des Monats März 2020

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Mikroprogrammspeicherblock aus der Siemens Rechenanlage 4004

In dieser Rubrik wollen wir auch in Zeiten von Corona wieder ein Objekt unserer Sammlung vorstellen. In diesem Monat ist es ein Mikroprogrammspeicherblock aus der Siemens Rechenanlage 4004.

Mikroprogrammspeicherblock aus der Siemens Rechenanlage 4004Als dieser monolithische Block vor etwa 8 Jahren als Neuzugang in die Sammlung kam, weckte er sofort das Interesse des damaligen Sammlungsleiters Dr. Wolf. Dieser öffnete behutsam das Computerbauteil und fand Erstaunliches. Lochkarten!

Was hatten Lochkarten im Steuerwerk eines Computers zu suchen?

Der Mikroprogrammspeicherblock ist 27 cm lang, 13 cm breit, 20 cm hoch. Er besteht aus 16 Ebenen mit je 32 Verstärkern (unter den weißen Plastikkappen). Im hinteren Teil verfügt er über acht Reihen mit je 14 eisernen Rundstäben. Bei genauerem Hinsehen kann man oben den Anfang einer Lochkarte sehen, die dann durch eine schwarze Platte abgedeckt wird.

Geöffneter Speicherblock.Im oben stehenden Bild wurde eine dieser 16 Ebenen geöffnet und die oberste der 32 Lochkarten entnommen und umgedreht daneben gelegt.

Deutlich zu sehen sind die 112 Ferritstäbe, die auf einer Verstärkerplatine aufgebracht sind und die Lochkarten aller 16 Ebenen durchstoßen.

Wie der Leiterbahnenverlauf auf der umgedrehten Karte zeigt, werden von den 112 Stäben nur 56 genutzt.

Durch gezielte Lochungen mit einem herkömmlichen Kartenlocher konnten die Leitungen rund um die Stäbe einseitig unterbrochen werden.

Ein durch den weißen, runden Verstärker modifizierter Stromimpuls durchströmt die Leiterbahn der Lochkarte und umfliesst die Ferritstäbe entsprechend ihrer individuellen Lochung entweder links-oder rechts herum.

Der grüne Punkt auf dem Bild zeigt den Draht des Verstärkers und auf der Lochkarte die Kontaktstelle der Leiterbahn. Die Pfeile geben den Stromverlauf durch die Leiterbahn an.

Die roten Punkte zeigen Kontaktstelle und den Kontaktdraht zum Ausgang.

In jeder Ebene sind 32 solcher Lochkarten untergebracht. Zu jeder
Karte führt ein, durch einen
Verstärker geschaltetes Kontaktpaar.

Durch Anwahl einer Lochkarte wurde ein 56 bit langer Mikrobefehl gelesen.

 

 

 

Hier sieht man die durch die Lochung manipulierte Stromlaufrichtung um die Ferritstäbe. Läuft der Strom rechts um den Stab, so ist hier eine Logische „1“ definiert. Linksherum entsprechend eine „0“. An den Sockeln der Ferritstäbe, die in eine Pertinaxplatte eingegossen sind, befinden sich je zwei Drähte, die mit den Steckern der Unterseite verbunden sind. Die daran angeschlossene Elektronik wertet die jeweilige Polung der Drahtpaare aus.

Die Siemens 4004/45 von 1972, aus der unser Speicherblock stammt, hatte insgesamt 8 dieser Blöcke. Jeder Block besteht aus 16 Ebenen zu je 32 Karten. Damit sind 4096 Mikrobefehle zu je 56 bit zu speichern.

Zur Auswahl eines Mikrobefehls ist also eine 12-Bit Adresse erforderlich.  2 Speicherblöcke wurden zu einem Speicherstapel zusammengefasst und 2 Speicherstapel, die alternativ arbeiten können, wodurch die Zugriffszeit halbiert wurde, bilden eine Speicherbank.

In einer ersten Speicherbank waren die Mikrobefehle für die Standardarchitektur hinterlegt; in einer zweiten Speicherbank konnten die Mikrobefehle für Emulatoren hinterlegt werden.

Die Anlage Siemens 4004/45 hatte 144 verschiedene Mikrobefehle.

Hier eine aus seinem 32 Bund herausgenommene Lochkarte. Darauf erkennt man nicht nur die
Lochungen für die Microbefehle, sondern auch Lochungen für Kartenadresse, Kassettenadresse
und weitere Angaben.
Im Bild sieht man die ummantelten Stäbe.
In der Ummantelung sieht man zwei Drähte, die
gegenläufig gewickelt sind.
In sie wird die Impulsrichtung induziert.
Das sind auch die Drähte, die am Sockel der Stäbe auf die Stecker geführt werden.
Des weiteren fällt auf, dass nur der zweite, dritte,
der sechste und der siebte Stab Drähte enthält.
So war es auch nicht möglich, die Wortlänge
zu erweitern.

Auch wenn einem diese Technik skurril und aufwändig erscheint, muss man sich die damaligen Alternativen ansehen, um einen programmierbaren Festwertspeicher zu realisieren.

Eine Methode war, Mikroprogrammcode auf der Festplatte, oder besser gesagt, dem Trommelspeicher zu schreiben. Hier waren aber die Zugriffszeiten sehr hoch.

Natürlich konnte man auch diese Daten für einen schnelleren Zugriff auf einen Ringkernspeicher auslagern.

Die gängigste Praxis war aber der eigens mit den Microprogramm vorgefädelte Ringkernspeicher.

Unten ist ein Mikrolesespeicher der Firma Kienzle abgebildet. Seine Kapazität beträgt 30 Befehle

mit je 16 Bit. Um die gleiche Speicherkapazität unseres Speicherblocks zu erreichen würde man davon etwa 60 Stück benötigen.

BauteilBauteil

Produktschuld

Der Kienzle Festwertspeicher war doppellagig ausgeführt und entstammt aus einem Rechner der Mittleren Datentechnik um 1965. Manch Einer fragt sich vielleicht, ob 1972 nicht schon etwa ROM oder EPROM Halbleiterbausteine zur Verfügung standen – schließlich kam ein Jahr zuvor schon der erste Mikroprozessor, der Intel 4004 auf den Markt.

Intel brachte erst Ende 1971 sein EPROM 1701 auf den Markt.  Es hatte eine Kapazität von 256 mal 8 bit. Mit 14 Chips hätte so unser Block ersetzt werden können.

Noch ein paar kurze Informationen zur Siemens 4004:

Mitte der 60-er Jahre vereinbarte Siemens mit der amerikanischen Firma RCA (Radio Corporation of America), die auch leistungsfähige Rechenanlagen erstellte, dass Siemens RCA-Rechner in Deutschland unter eigenem Namen vertreiben und sogar nachbauen durfte. Bereits 1968 konnte Siemens die 4004/45 aus eigener Produktion auf den Markt bringen. Zu dieser Zeit waren noch keine Halbleiter ROM verfügbar. Siemens entwickelte dafür ein Betriebssystem PBS (Plattenbetriebssystem), das später zur Grundlage für BS 1000 wurde.

Laut Diebold-Statistik vom 1.Januar 1970 waren 295 Siemens 4004 Anlagen im Einsatz, 84 davon waren 4004/45.

Wo kann man das Objekt anschauen?

Wer sich diese Maschine näher anschauen möchte, kann an einem Donnerstag (sobald wieder Führungen stattfinden) zur Zuse-Vorführung vorbei schauen oder unter Tel. 09131/8527027 einen Termin vereinbaren.

Ausgestellt ist es im RRZE, Martensstraße 1, 1.Stock, Im „ZUSE-Raum“, 1.00