Objekt des Monats April 2020
In dieser Rubrik wollen wir wieder ein Objekt unserer Sammlung vorstellen. In diesem Monat ist es ein Laufzeitspeicher.
Im Nachhinein erscheinen uns frühe Speichertechniken für Computersysteme mitunter etwas skuril. Damals waren sie Stand der Technik, bis sie oftmals nach nur wenigen Jahren komplett durch neuartige Technologien ersetzt worden sind. Sämtliche Entwicklungsbemühungen, Produktionsmaschinen und erworbenes Know-How war von einem auf den anderen Tag wertlos, außer die „veraltete“ Technologie konnte kostengünstig und durch ihre Zuverlässigkeit weiterhin eine Nische ausfüllen.
Solch einen Speicher wollen wir hier vorstellen: den Laufzeitspeicher.
Dieser Laufzeitspeicher stammt aus dem Jahre 1969 und war in einem Datensichtgerät (Terminal) von Control Data eingebaut.
Er ist etwa 1,6 kg schwer, mit einer Länge/Breite von 26,5 cm auf 24 cm und einer Höhe von 4,2 cm.
Wie auf dem Typschild zu erkennen ist, wurde der Speicher in Syosset, New York, von der Firma Digital Devices INC. hergestellt. Des weiteren ist ein Delay von 9877 ysec., und eine Bitrate von 1000 Kilocycles angegeben.
Bei einem Speicher erwartet man sich eigentlich andere Angaben, wie Speicherkapazität in x-Byte und Übertragungsgeschwindigkeit in x-Byte/s.
Wie ist dieser Laufzeitspeicher aufgebaut? Was ist das Speichermedium?
Laufzeitspeicher speichern ihre Daten auf einer Verzögerungsleitung, die mit einem magnetostriktiven Draht aufgebaut ist. Ein Transducer (Wandler) überträgt über die dazugehörigen Treiber- und Leseverstärkerschaltungen die zu speichernden Daten.
Die Laufzeitspeicher waren vorwiegend zur Speicherung digitaler Daten eingesetzt. Dies geschah in Tischrechnern und, wie in unserem Fall, in Datensichtgeräten. Hier konnte der gesamte Bildschirminhalt (z.B. 320×240 Pixel) gespeichert werden.
Der Draht der Verzögerungsleitung unseres Speichers ist in 48 Wicklungen angebracht und insgesamt ca. 30 m lang.
Eingang und Ausgang dieser Leitung sind über entsprechende elektronische Logikgatterschaltungen miteinander verbunden.
Die Gatter werden von einem zentralen Takt so gesteuert, dass die Bits der zu speichernden Information in dem durch das Verbinden von Eingang und Ausgang des Drahtes gebildeten Kreis zirkuliert.
So war diese Technik für eine Verwendung in Bildschirmen mit seiner gleichbleibenden Bildwiederholfrequenz regelrecht prädestiniert.
Die Laufzeitspeicher enthalten eine Draht aus magnetostriktiven Material.
Magnetostriktion ist die Deformation magnetischer (insbesondere ferromagnetischer) Stoffe infolge eines angelegten magnetischen Feldes. Dabei erfährt der Körper bei konstantem Volumen eine elastische Längenänderung. Durch ein magnetisches Wechselfeld wird jeder ferromagnetische Stoff zu mechanischen Schwingungen angeregt.
Durch dieses Drehen des Drahtes ändert sich die Länge im Bereich von ca. 10 bis 30 µm/m. Eine Spezialbehandlung des Drahtes hält den Themperaturkoeffizient der Verzögerung extrem klein.
Der Eingangwandler erhält beim Einspeichern eines Bit einen sägezahnförmigen Stromimpuls. Das daraus resultierende Magnetfeld wird in dem Draht einem dauernd in axialer Richtung anliegenden Magnetfeld überlagert. Dadurch wird in dem Draht eine Torsionsschwingung erzeugt, die sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit zum anderen Drahtende fortpflanzt.
Der an diesem Ende montierte Ausgangswandler gewinnt aus der mechanischen Energie der ueber den Draht laufenden Torsionsschwingung wieder elektrische Energie.
Diese wird einerseits wieder umgewandelt in den Draht eingespeist, andererseits ausgelesen und verstärkt an die Bildröhre weitergegeben.
In frühen Computern wie z.B. dem UNIVAC (ab ca. 1951) verwendete man Laufzeitspeicher als dynamischen Hauptspeicher. Im Gegensatz zu einem Direktzugriffsspeicher, einem RAM, konnte nicht auf jedes Datenelement wahlfrei zugegriffen werden, sondern es musste gewartet werden, bis es am Ende des Laufzeitspeichers wieder erschien.
In Terminals und Sichtgeräten wurde diese Technik noch in den 1970er Jahren als Bildschirmspeicher verwendet. In den Computern 5005/5006 und 5610 der Firma Singer Business Machines wurden Delaylines als Hauptspeicher verwendet.
Auch Tischrechner wie der Friden 130 (ISER I 1151 von 1963) und die Diehl Combitron (ISER I 0050 von 1966) hatten Laufzeitspeicher als Hauptspeicher, da Ringkernspeicher zu teuer und die geringere Rechengeschwindigkeit des Laufzeitspeichers unproblematisch war.
Wo kann man das Objekt anschauen?
Wer sich diese Maschine näher anschauen möchte, kann an einem Donnerstag (sobald wieder Führungen stattfinden) zur Zuse-Vorführung vorbei schauen oder unter Tel. 09131/8527027 einen Termin vereinbaren.
Quellen: Wikipedia, Valvo Datenbuch „Verzögerungsleitungen und Laufzeitspeicher“ von 1968.